Die Myelodysplastischen Syndrome (MDS) bezeichnen eine Gruppe von erworbenen klonalen Erkrankungen der Stammzellen der Blutbildung (hämatopoetische Stammzellen) im Knochenmark, die zu einer gestörten Proliferation und Reifung der Blutzellen führen. Bei MDS ist das Risiko, an einer akuten myeloischen Leukämie (AML) zu erkranken, erhöht. MDS treten am häufigsten im höheren Lebensalter auf. Man unterscheidet zwischen verschiedenen Formen und Schweregraden.1,2
Ätiologisch unterscheidet man beim myelodysplastischen Syndrom die primären (De-novo-MDS) und die sekundären (therapieassoziierten) MDS:1,2
Myelodysplastische Syndrome sind eine Gruppe heterogener klonaler Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark. Die MDS-Pathogenese ist bisher nur unvollständig geklärt und sehr komplex. Man geht davon aus, dass für die Entstehung genetische Veränderungen in hämatopoetischen Stammzellen verantwortlich sind – zum Beispiel chromosomale Aberrationen, DNA-Mutationen und epigenetische Veränderungen, die beim Voranschreiten der Myelodysplasie häufig zunehmen. Vermutlich führt dies im Verlauf zu einer Selektion von bösartigen Stammzellen. Diese besiedeln zunehmend das Knochenmark mit ihren Vorläuferzellen (Progenitorzellen) , so dass die gesunde Blutbildung (Hämatopoese) verdrängt wird.1
Im MDS-Krankheitsverlauf kommt es zu qualitativen und quantitativen Veränderungen in der Bildung der sogenannten myeloischen Blutzellen mit meist zellreichem dysplastischen Knochenmark und oft erhöhtem Blastenanteil sowie einer verminderten Bildung von peripheren Blutzellen (Zytopenie). Die Zytopenie kann isoliert auftreten oder gleich mehrere Linien von Blutzellenbetreffen (Anämie, Granulozytopenie, Thrombozytopenie). In bestimmten Fällen kann die Zahl der Blutzellen jedoch auch erhöht sein.1,2,4
Symptomatik des MDS1,2
In ca. 20 % der Fälle ist das myelodysplastische Syndrom ein Zufallsbefund. Das erste Symptom eines MDS ist in ca. 70-80 % eine Anämie, die oft bei einer Routineuntersuchung entdeckt wird.
Infolge der Neutropenie bzw. der Funktionsstörung der neutrophilen Granulozyten leidet etwa ein Drittel der MDS-Patienten zu Beginn der Erkrankung an rezidivierenden Infektionen, besonders des Bronchialsystems oder der Haut.
Etwa 50 % der Patienten haben bei Erstdiagnose eines MDS eine Thrombozytopenie, dennoch sind Blutungskomplikationen selten. Typische Symptome bei Blutungsneigung sind Petechien, Zahnfleischbluten oder Hämatome bereits nach leichten Traumata. Bei 10 % der MDS-Patienten tritt zu Beginn der Krankheit eine schwere Blutung auf, zum Beispiel gastrointestinal, in den ableitenden Harnwegen, der Retina oder im Zentralnervensystem.
Differenzialdiagnose
Ein myelodysplastischen Syndrom sollte bei Erwachsenen über 60 Jahre mit unerklärten peripheren Zytopenien in Betracht gezogen werden. Grundsätzlich handelt es sich bei der Diagnose myelodysplastisches Syndrom um eine Ausschlussdiagnose, so dass zahlreiche Differenzialdiagnosen der MDS ausgeschlossen werden sollten, unter anderem1,2
Diagnostik1
Die Säulen der MDS-Diagnostik sind die Untersuchung des peripheren Bluts und des Knochenmarks, um Dysplasiezeichen einer oder mehrerer Zellreihen und den Anteil bestimmter Zellen (monozytäre Zellen, Ringsideroblasten) sowie den Blastenanteil zu bestimmen:
Klassifikation
Anhand der diagnostischen Parameter werden MDS weiter klassifiziert und können einer der WHO-Kategorien zugeordnet werden. Patienten mit einem Blastenanteil <5% im Knochenmark unterscheidet man in unilineär dysplastische und multilineär dysplastische Patienten sowie Patienten mit und ohne Ringsideroblasten. Das MDS mit del(5q)-Syndrom ist eine eigenständige Kategorie. MDS mit >5% Blasten teilt man in die Unterformen „Blastenexzess (1)“ und „Blastenexzess (2)“ ein. Zudem werden einige seltene Unterformen als „MDS, unklassifizierbar“ eingestuft.2,5
WHO-Klassifikation der myelodysplastischen Syndrome 20165
Prognoseabschätzung
Das International Prognostic Scoring System (IPSS) und das in 2012 aktualisierte internationale Prognosesystem (Revised International Prognostic ScoringSystem, IPSS-R) sind zwei wichtige validierte Prognosesysteme, um das individuelle Risiko des Patienten abzuschätzen.6,7
Dabei zieht man die nachweisbaren Karyotypveränderungen, den Blastenanteil im Knochenmark sowie die Anzahl und den Schweregrad der Zytopenien heran. Der IPSS-R nutzt im Vergleich zum IPSS eine erweiterte Zahl an zytogenetischen Kategorien, gewichtet den Anteil an Knochenmarkblasten anders und definiert die Ausprägung der Zytopenien genauer. Anhand der prognostischen Risikogruppe kann man auf die Lebenserwartung und das Risiko einer AML-Transformation schließen.6,7
Kriterien, die zur Berechnung des IPSS- und IPSS-R-Scores herangezogen werden 6,7
Zuordnung in Risikogruppen zur Therapieplanung
Mithilfe des IPSS- bzw. IPSS-R-Prognosescores werden die Patienten in zwei Risikogruppen – Niedrigrisiko-MDS und Hochrisiko-MDS – unterschieden, welche die Therapieplanung wesentlich beeinflussen. Daneben spielen bei der MDS-Behandlung weitere Faktoren eine Rolle: Neben Alter, Komorbiditäten und Allgemeinzustand haben auch die Erwartungen und Ziele der Patienten Einfluss auf die Therapieentscheidung. Die Behandlung sollte, wann immer es möglich ist, im Rahmen von klinischen Studien erfolgen.1
Einteilung in die beiden Risikogruppen gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie:1
Hier gelangen Sie zur MDS-Onkopedia-Leitlinie „Myelodysplastische Syndrome“
Das National Comprehensive Cancer Network unterteilt Patienten mit IPSS-R INT noch weiter: Patienten mit einem IPSS-R-Gesamtscore ≤3,5 Punkten können zu den Niedrigrisikopatienten gerechnet werden, während Patienten mit >3,5 Punkten als Hochrisikopatienten eingestuft werden.8,9
Therapie der Niedrigrisiko-MDS
Watch and wait
Abhängig von Alter und von Komorbiditäten genügt bei manchen MDS-Patienten mit nur gering ausgeprägter Zytopenie zunächst eine beobachtende Strategie mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen.1
Supportive Therapie1
Meist ist die symptomatische Anämie der Anlass, um eine Therapie einzuleiten. Die Grundlage der MDS-Behandlung ist hier eine gute supportive Therapie, die neben Transfusionen auch eine bedarfsweise antibiotische Therapie sowie die adäquate Behandlung von Begleiterkrankungen beinhaltet:
Krankheitsspezifische Therapie1
Eine krankheitsspezifische Therapie wird abhängig von Erkrankungsstadium, Alter und klinischem Zustand des Patienten eingeleitet. In der Regel ist hier die Erhaltung bzw. Verbesserung der Lebensqualität und der Autonomie der Patienten im Fokus.
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Weitere Informationen zur immunmodulatorischen Behandlung bei MDS
Bei MDS ist die einzige kurative Therapieoption eine allogene Stammzelltransplantation, die im Allgemeinen jedoch Patienten mit Hochrisiko-MDS vorbehalten ist. Allerdings sollte die Indikation zur allogenen Stammzelltransplantation auch bei Niedrigrisiko-Patienten in gutem klinischen Zustand, mit Hochrisiko-Zytogenetik und/oder schwerer Panzytopenie in Betracht gezogen werden.1
Therapie der Hochrisiko-MDS1
Die Lebenserwartung von MDS-Hochrisikopatienten ist im Vergleich zur altersentsprechenden Bevölkerung deutlich eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund besteht prinzipiell die Indikation zur Therapie, die eine Verlängerung der Lebenserwartung zum Ziel hat.
Allogene Stammzelltransplantation
Die kurative Behandlung eines myelodysplastischen Syndroms ist grundsätzlich nur durch eine allogene Stammzelltransplantation möglich. Bei allen Patienten mit Hochrisiko-MDS sollte deshalb zunächst die Möglichkeit einer allogenen Stammzelltransplantation geprüft werden.10
Weitere Informationen zur allogenen Stammzelltransplantation bei MDS finden Sie hier
Epigenetische Therapie
Patienten, die für eine allogene Stammzelltransplantation nicht geeignet sind oder Patienten zur Überbrückung bis zu einer allogenen Stammzelltransplantation können eine epigenetische Therapie mit demethylierenden Substanzen erhalten. Bei Fortschreiten der MDS-Krankheit und bei ausbleibendem Ansprechen nach 4-6 Zyklen sollten Patienten, wenn möglich, in laufende klinische Studien eingeschlossen werden.
Erfahren Sie mehr zur Behandlung mit demethylierenden Substanzen bei MDS
Chemotherapie
Eine intensive Chemotherapie, entsprechend der Therapie bei AML, stellt keine etablierte Therapieoption für Hochrisiko-MDS-Patienten dar. Ob diese im Einzelfall sinnvoll ist, z. B. um eine Remission vor einer geplanten allogenen Stammzelltransplantation zu induzieren, ist vom Einzelfall abhängig und kann nur individuell entschieden werden.