Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist eine maligne Erkrankung des blutbildenden Systems. Vor dem Hintergrund der gut erforschten Pathogenese gilt sie als Modellerkrankung für die Diagnostik und Therapie neoplastischer Erkrankungen.1 Die CML ist zwar nach wie vor medikamentös nicht heilbar,2 seit Einführung der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) erreichen die meisten Patienten jedoch eine nahezu normale Lebenserwartung.3
Aufgrund der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten und dem damit verbundenen längeren Gesamtüberleben der Patienten seit Einführung der TKI ist in den nächsten Jahrzehnten mit einem deutlichen Anstieg der Prävalenz zu rechnen.4
Bei mehr als 95% der CML-Patienten liegt eine reziproke Translokation t(9;22)(q34;q11) zwischen Chromosom 9 und 22 vor, durch die das verkürzte Chromosom 22q-, das sogenannte Philadelphia-Chromosom entsteht.6 Durch einen Bruch in Chromosom 9 im Genabschnitt der Abelson (ABL)-Tyrosinkinase und im Chromosom 22 im Genabschnitt der Breakpoint cluster region (bcr) verschmelzen beide Gene auf Chromosom 22 zum neuen Genabschnitt, dem sogenannten bcr-abl. Es entsteht ein Fusionsprotein, BCR-ABL1, mit konstitutiver Tyrosinkinase-Aktivität.6
Die Phosphorylierung von BCR-ABL führt zu einer klonalen Störung der Hämatopoese mit einer Hemmung der Apoptose und vermehrter Proliferation von Granulozyten.2,7
Bei über 95% der CML-Patienten kann dieses Gen zytogenetisch nachgewiesen werden.9 Bei den etwa 5% der Patienten, die kein Philadelphia-Chromosom aufweisen, kann aber mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) oder Reverse-Transkription Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) das BCR-ABL-Protein nachgewiesen werden.2
Trotz der Kenntnisse über die molekularen Prozesse, die eine CML auslösen, ist wenig über deren Entstehung bekannt.2 Als weitgehend gesichert gilt lediglich, dass eine hohe Strahlenexposition die Entstehung des Philadelphia-Chromosoms begünstigt.10
Typische Symptome der CML sind Abgeschlagenheit, Schwäche, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Knochenschmerzen oder Oberbauchbeschwerden infolge der Milzvergrößerung. Viele Patienten sind gerade zu Beginn der Erkrankung jedoch symptomfrei oder symptomarm, sodass die CML häufig als Zufallsbefund bei einer Blutbildbestimmung diagnostiziert wird.1
Ergänzend zur Anamnese und dem körperlichen Befund (sonographische Bestimmung von Milz- und Lebergröße), werden für die Diagnostik der CML eine Untersuchung des peripheren Bluts, eine Knochenmarkbiopsie mit Zytomorphologie sowie zytogenetische und molekulargenetische Analysen
herangezogen.1,11Die zytogenetische Analyse des Knochenmarkaspirats ermöglicht bei den allermeisten Patienten den Nachweis der Standardtranslokation t(9,22)(q34;q11), dem sogenannten Philadelphia-(Ph+)Chromosom.1 Zudem kann die Anordnung der Metaphasen in einem Karyogramm weitere Chromosomenanomalien erfassen, die den Verlauf einer CML potenziell ungünstig beeinflussen (z. B. Trisomie 8, Isochromosom 17).2 Bei nicht aussagefähiger zytogenetischer Analyse werden ergänzend Verfahren wie die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) eingesetzt. Diese weisen im Vergleich zur klassischen Chromosomenanalyse eine noch höhere Sensitivität und Spezifität auf. Für diese Analyse sind Zellen aus dem peripheren Blut ausreichend.2
BCR–ABL1-positive Zellen sind genetisch instabil und neigen zur Entwicklung genomischer Aberrationen. Die Folge ist eine Transformation der Zellen von einem chronischen in einen akuten leukämischen Phänotyp und damit die Progression der Patienten von der chronischen (CP) in die akzelerierte Phase (AP) und Blastenkrise (BP).2
Definitionen für die akzelerierte Phase und Blastenkrise bei chronischer myeloischer Leukämie nach WHO und ELN2
90–95% der Patienten befinden sich zum Zeitpunkt der Diagnose in der chronischen Phase. Nur selten wird die chronische myeloische Leukämie erst in den bereits fortgeschrittenen Stadien akzelerierte Phase und Blastenkrise diagnostiziert.2
Ein wesentliches Ziel der CML-Therapie stellt heutzutage das Erreichen eines stabilen tiefen molekularen Ansprechens (deep molecular response, DMR) dar. Den aktuellen ELN-Leitlinien von 2020 zufolge ist das tiefe molekulare Ansprechen als eine Reduktion der BCR-ABL-Transkripte um 4 Logstufen oder mehr definiert11: MR4 (BCR-ABL1IS ≤ 0,01%),MR4,5 (BCR-ABL1 ≤ 0,0032%) bzw. MR5 (BCR-ABL1 ≤ 0,001%) beschreiben eine Reduktion des BCR-ABL-Transkripts um 4, 4,5 bzw. 5 Log-Stufen.
Diese Definition trägt Studienergebnissen Rechnung, die ein Erreichen dieser tiefen Log-Stufen mit TKIs der zweiten Generation gezeigt haben,11,12 und liegt der Bewertung des Therapieansprechens im Rahmen der Verlaufskontrolle zugrunde.11
Dass die besonders tiefe Remission und der frühe Zeitpunkt der tiefen Remission eine hohe prognostische Relevanz haben, konnte unter anderem anhand von Daten aus der CML-IV-Studie der Deutschen CML-Studiengruppe bestätigt werden:
Erste Wahl zur Therapie der Ph+ chronischen myeloischen Leukämie ist der Einsatz eines (Tyrosinkinaseinhibitors (TKI). Zugelassen für die Erstlinientherapie sind Imatinib und die Zweitgenerations-TKI Nilotinib, Bosutinib und Dasatinib. Ziel ist ein Überleben möglichst aller betroffenen Patienten bei normaler Lebensqualität.14 Es konnte gezeigt werden, dass TKI der zweiten Generation in der Erstlinie zu schnelleren und tieferen molekularen Remissionen (MR4,5) führen und eine verbesserte Effektivität im Vergleich zum Erstgenerations-TKI Imatinib zeigen. Daher werden in aktuellen Leitlinien Zweitgenerations-TKI auch für den Einsatz in der Erstlinie empfohlen.1,2,15
Initial kann vor dem TKI ggf. die Gabe von Hydroxyurea zur raschen Absenkung exzessiv erhöhter Leukozyten notwendig sein.1 Interferon-α in Kombination mit Cytarabin16 spielt evtl. noch im Rahmen von Kombinationstherapien mit TKI eine Rolle.
Das Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie der CML wird nach hämatologischen, zytogenetischen und molekularen Remissionskategorien beurteilt, insbesondere anhand des standardisierten molekularen Monitoring von BCR-ABL1IS. Warnhinweise sollten dazu veranlassen, Patienten engmaschiger zu kontrollieren, um bei Therapieversagen rechtzeitig umstellen zu können.17
Bei Therapieversagen oder Progression in die akzelerierte Phase oder Blastenkrise sollten eine zytogenetische Untersuchung der Zellmetaphasen im Knochenmark, PCR-Analyse und eine Mutationsanalyse durchgeführt werden.17
50% der Patienten mit Therapieversagen oder Progression weisen Punktmutationen in der BCR-ABL-Kinasedomäne auf. Bislang sind mehr als 100 verschiedene Punktmutationen beschrieben, die mit einer Imatinib-Resistenz assoziiert werden. Für TKI der zweiten Generation ist das Spektrum für Resistenzmutationen deutlich kleiner.2
Nach unzureichendem Ansprechen, bei Resistenz oder Intoleranz auf einen Erstlinien-TKI empfiehlt die Leitlinie für die Zweit- und nachfolgenden Therapielinien den Wechsel auf einen alternativen TKI.2 Die Behandlung orientiert sich individuell am zytogenetischen und molekularbiologischen Ansprechen, Komorbiditäten, Nebenwirkungsspektrum und Mutationsstatus.17 Bei Vorliegen der Resistenzmutation T315I wird der Einsatz von Ponatinib empfohlen.
Die Kriterien für ein optimales Ansprechen, Warnhinweise und Therapieversagen entsprechen denen der Erstlinientherapie.
Der aktuellen Leitlinie des European LeukemiaNet (ELN) aus dem Jahr 2020 zufolge kann bei CML-Patienten mit anhaltendem tiefem molekularem Ansprechen erwogen werden, die TKI-Therapie mit dem Ziel einer therapiefreien Remission (TFR) abzusetzen.11 Das Konzept der TFR ist zudem Bestandteil der aktuellen Leitlinien der DGHO18 und ESMO.2
Zentrale Kriterien als Mindestvoraussetzungen für einen TKI-Absetzversuch sind laut DGHO-Leitlinie das Erreichen einer MR4,5 und eine stabile tiefe molekulare Remission (MR4 oder besser) kontinuierlich anhaltend über mehr als 2 Jahre1 Gerade unter TKIs der zweiten Generation erreichen Patienten häufiger diesen Remissionsgrad als dies unter dem Erstgenerations-TKI Imatinib der Fall ist.1,19
Nach dem Absetzen eines TKI empfiehlt die Leitlinie engmaschige Kontrollen: sensitive, standardisierte, quantitative RT-PCR im ersten Halbjahr 4-wöchentlich, im zweiten Halbjahr 6-wöchentlich und danach dreimonatlich).
Mehr zur leitliniengerechten Therapie der CML erfahren Sie hier.
Nähere Informationen zur zielgerichteten Therapie der CML mit einem TKI von