Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist eine bösartige, biologisch heterogene hämatologische Erkrankung und die häufigste akute Leukämie Erwachsener. Sie tritt häufig plötzlich auf und führt unbehandelt in kurzer Zeit zum Tode. Ihre Inzidenz nimmt mit dem Lebensalter zu. Die AML geht von unreifen myeloischen Vorläuferzellen aus und kann verschiedene myeloische Zelllinien betreffen. Die entarteten Vorstufen vermehren sich unkontrolliert, es entstehen sogenannte myeloische Blasten, die sich massenhaft im Knochenmark ansammeln, die normale Blutbildung verdrängen und in den ganzen Organismus gelangen und Organe infiltrieren können.1,2
Die AML ist bis auf wenige Ausnahmen durch einen Blastenanteil von ≥ 20 % im Knochenmark und im peripheren Blut gekennzeichnet.1,2 Liegt der Blastenanteil < 20 %, ist eine AML jedoch dennoch nicht ausgeschlossen.3
Die aktuelle WHO-Klassifikation definiert verschiedene Subgruppen der AML anhand von chromosomalen (Translokationen und Inversionen) und molekulargenetischen (Genmutationen) Charakteristika sowie die AML mit Myelodysplasie (MDS)-assoziierten zytogenetischen Veränderungen. Darüber hinaus gelten gemäß WHO alle myeloischen Tumoren, die nach einer Zytostatika-Behandlung aufgetreten sind, als therapieassoziierte AML und gehören gemeinsam mit der AML mit MDS-Veränderungen zu den sekundären AML-Formen.1,4
Ursprung der AML ist das unkontrollierte klonale Wachstum myeloischer Vorläuferzellen (Progenitorzellen), das zur Verdrängung der gesunden Knochenmarkzellen und zur verringerten Bildung von Blutzellen (Zytopenien) führt: Granulozytopenie, Thrombozytopenie und Anämie.
Im Gegensatz zur chronischen myeloischen Leukämie (CML) können dafür verschiedene zytogenetische Aberrationen verantwortlich sein: Genumlagerungen (Translokationen oder Inversionen) oder Veränderungen der Chromosomenzahl (Trisomien, Monosomien und komplexere Veränderungen) und Genmutationen, die auch prognostisch bedeutsam sind.
Am häufigsten sind Mutationen in den Genen FLT3, NPM1, DNMT3A sowie IDH 1 oder 2 zu finden. Es gibt jedoch noch eine Vielzahl weiterer Mutationen, beispielsweise in Tumorsuppressor-Genen oder in Genen, die die DNA-Methylierung regeln.
Darüber hinaus liegen bei etwa 50 % der AML- Patienten mehrere Leukämieklone vor (klonale Heterogenität), was möglicherweise einen Einfluss auf das Therapieansprechen und Rezidivgeschehen haben kann.
Img caption Relative Häufigkeit der verschiedenen Leukämieformen, Deutschland 2015 – 20169Robert Koch-Institut, Zentrum für Krebsregisterdaten. Leukämien. Abgerufen am 25.11.2019. https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Leukaemien/leukaemien_node.html
Bekannte Risikofaktoren für die Entstehung einer akuten Leukämie sind die Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen, eine frühere Chemotherapie und ein Kontakt mit verschiedenen Chemikalien.1,9,10 Genetische Veränderungen wie z. B. eine Trisomie 21 können mit einem erhöhten Leukämierisiko verbunden sein9, ebenso besteht eine Beziehung zum Myelodysplastischen Syndrom. Ein Zusammenhang mit Umwelt- und Lebensstilfaktorenfaktoren wird diskutiert9 bzw. gilt für das Rauchen als gesichert1.
Die Symptome einer akuten myeloischen Leukämie treten meist plötzlich auf – in der Regel innerhalb von wenigen Wochen. Auch ein gering symptomatischer Verlauf ist möglich, sodass die Leukämie zufällig entdeckt wird.2 Die hauptsächliche Symptomatik der AML spiegelt die fortschreitende Beeinträchtigung der Hämatopoese aufgrund der Verdrängung gesunden Knochenmarks mit leukämischen Blasten wider:1
Bei Verdacht auf eine Leukämie sind zur initialen Diagnostik erforderlich:
Im Verlauf der AML werden wiederholt Knochenmark- und weitere Untersuchungen durchgeführt, um das Therapieansprechen anhand definierter Remissionskriterien zu überprüfen.
Die wichtigsten die Prognose beeinflussenden Faktoren sind das Lebensalter sowie molekulare und zytogenetische Veränderungen.1
Die Einteilung in die Risikogruppen „günstig“, „intermediär“ und „ungünstig“ erfolgt nach den Kriterien des European LeukemiaNet (ELN) auf der Basis der molekular/zytogenetischen Veränderungen bei der Erstdiagnose.1,11
Die Akute Myeloische Leukämie führt ohne Behandlung meist innerhalb weniger Wochen zum Tod. Die Therapie sollte deshalb zeitnah, in den meisten Fällen aber erst nach Abschluss der vollständigen genetischen Untersuchung der Tumorzellen, begonnen werden. Bei jüngeren und bei älteren fitten Patienten erfolgt die Therapie meist in kurativer Absicht. Die Therapieplanung richtet sich nach den biologischen Eigenschaften der Erkrankung, eventuellen Komorbiditäten und dem Patientenwunsch. Die Therapie der AML sollte im Rahmen einer Studie in einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden.1Lesen Sie mehr zur leitliniengerechten Therapie der AML
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Ansätze in der Behandlung der AML unterscheiden. Patienten unter 75 Jahren in einem guten Allgemeinzustand („fit“) können eine intensive Therapie bestehend aus einer Induktionstherapie mit dem Ziel einer Komplettremission (CR), einer Postremissionstherapie (Konsolidierungstherapie) und in manchen Fällen noch einer zusätzlichen medikamentösen Erhaltungstherapie zur Verhinderung eines raschen Rezidivs erhalten. Patienten im Alter von 75 Jahren oder älter und Patienten in geschwächtem Allgemeinzustand mit komplexen Begleiterkrankungen („unfit“) werden hingegen nach einem weniger intensiven Schema behandelt. Hier liegt der Fokus nicht auf der Heilung, sondern auf der Linderung von Symptomen, der Verbesserung der Lebensqualität und der Verlängerung der Lebenszeit.
Die kurativ intendierte Induktionstherapie bei Patienten in gutem Allgemeinzustand ist eine intensive zytostatische Therapie auf der Basis von Cytarabin und Daunorubicin. Neue Medikamente wie Tyrosinkinase-Inhibitoren (z. B. Midostaurin bei FLT3-Mutation), Antikörper bzw. Immunkonjugate (z. B. Gemtuzumab Ozogamicin zur Behandlung der CD33-positiven AML) und neue Formen von Zytostatika-Zubereitungen (z. B. CPX-351 als liposomale Kombination aus Cytarabin und Daunorubicin), können die Prognose in bestimmten AML-Subgruppen erheblich verbessern. Da sie in der Regel direkt zu Beginn anstatt oder in Kombination mit der Standard-Induktionstherapie eingesetzt werden, sollte deswegen vor Behandlungsbeginn die AML-Subgruppenzugehörigkeit definiert werden.
Die Wahrscheinlichkeit einer Prognoseverbesserung durch eine subgruppengerechte Therapie scheint das Risiko einer Prognoseverschlechterung durch einen etwas verzögerten Therapiebeginn aufzuwiegen. Diese Empfehlung gilt jedoch explizit nicht für Patienten mit neutropenischem Fieber und/oder Zeichen einer Leukostase sowie bei Verdacht auf eine akuten Promyelozytenleukämie. In diesem Fall muss die Therapie umgehend begonnen werden.
Ist eine Komplettremission erreicht, schließt sich in den meisten Fällen direkt an die Induktionstherapie die Konsolidierungstherapie an. Diese richtet sich nach dem Rezidivrisiko, der Subgruppe der AML und dem Allgemeinzustand des Patienten und wird entweder als hochdosierte Chemotherapie oder in Form einer allogenen Stammzelltransplantation, eventuell mit anschließender Erhaltungstherapie, durchgeführt. Grob gesagt gilt, dass bei Subgruppen mit niedrigem Rezidivrisiko eher zu einer Chemotherapie mit hoch- oder intermediär-dosierten Zytostatika eventuell in Kombination mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (z. B. Midostaurin) oder einem Immunkonjugat (z. B. Gemtuzumab Ozogamicin) geraten wird, während Patienten mit intermediärem oder hohem Rezidivrisiko rechtzeitig für eine allogene Stammzelltransplantation evaluiert werden sollten.
Eine Erhaltungstherapie nach der Postremissionsphase z. B. mit Tyrosinkinase-Inhibitoren kommt bisher nur in bestimmten Fällen zum Einsatz, z. B. bei vorliegender FLT3-Mutation (Midostaurin). Neue Ansätze in der Erhaltungstherapie werden aktuell untersucht, mit dem Ziel, einen Behandlungserfolg möglichst lange aufrechtzuerhalten und das Rückfallrisiko zu vermindern.
Bei älteren und/oder für eine kurativ ausgerichtete intensive Therapie ungeeigneten Patienten besteht das palliative Therapieziel in einer Verlängerung der Lebenszeit bei möglichst guter Lebensqualität durch „best supportive care“ und zytoreduktive Therapie. Neben Hydroxyurea zur Senkung der Leukozytenzahl empfiehlt die Leitlinie die Gabe hypomethylierender Substanzen (HMA) bzw. im Falle von Kontraindikationen oder einem Progress eine niedrigdosierte Chemotherapie mit Cytarabin. Neuere Studien zeigen z.B. für Kombinationstherapien mit HMA mit einem bcl2-Inhibitor als Kombinationspartner beziehungsweise von Cytarabin in Kombination mit einem Hedgehog-Inhibitor vielversprechende Ergebnisse und werden für die nicht-intensive Therapie als Optionen empfohlen.1
Für fitte Patienten stellt die allogene Stammzelltransplantation (SZT) nach einer Reinduktionstherapie (FTL3 Wildtyp) oder der Gabe eines FTL3-Inhibitors (Gilteritinib bei FLT3-Mutation) einen kurativen Therapieansatz dar, eventuell mit anschließender Erhaltungstherapie (FLT3 mutiert). Eine bereits in der Vergangenheit stattgefundenen Stammzelltransplantation ist dabei kein unmittelbares Ausschlusskriterium.
Für Patienten im Rezidiv, die für eine intensive Therapie ungeeignet sind, stehen für die palliative Therapie neben niedrigdosierten Chemotherapien hypomethylierende Substanzen und auch neue zielgerichtete Wirkstoffe zum Beispiel der FLT3-Inhibitor Gilteritinib zur Verfügung. Für die Wahl des Therapeutikums sind die genetischen Veränderungen gemäß dem vorliegenden AML-Subtyp relevant.